jools

Erfahrene Männer

June 12, 2025

„Zahlreiche deutsche Städte fallen Tag für Tag brutalen Terrorangriffen zum Opfer. Die Helden an der Front haben bereits zahlreiche gegenerische Bomber abgeschossen, denn nichts wird das Vaterland vor dem Endsieg aufhalten. Das Vaterland ruft! Unser Kampf ist gerecht, und wir werden siegen! Lang lebe der Führ-!“

Ich schalte den Radio aus, bevor der Reporter den Satz zu Ende sprechen kann. Ein tiefer Seufzer entweicht mir, während ich mir über die Schläfe reibe. Die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg drängen sich in meinen Geist – der Lärm der Artillerie, der Geruch von Schießpulver, das Schreien der Verwundeten. Martha, meine Frau, betritt den Raum und runzelt die Stirn.

 “Was ist los, Paul?”

Ich zögere einen Moment, dann frage ich: “Kannst du glauben, dass Deutschland bald schon den zweiten Krieg in siebenundzwanzig Jahren verliert?”

 Sie setzt sich neben mich und sucht meinen Blick.

“Aber die Nachrichten sprechen doch von einem sicheren Endsieg."

 Ich schüttle den Kopf. “Das ist alles nur Propaganda. Glaub mir, ich war damals schon an der Front – da klang es nicht anders.”

 Ein beklemmendes Schweigen breitet sich zwischen uns aus.

Es klingelt es an der Tür. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Mit einem flauen Gefühl im Magen stehe ich auf und öffne die Tür. Vor mir steht ein breit gebauter Soldat mit strengem Blick.

 “Guten Tag, Kristen mein Name. Sind wir hier richtig bei den Martens?”

Mein Blick fällt auf das Abzeichen seiner Uniform . Wehrersatzdienststelle. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken.

 “Ja, das ist richtig. Gibt es ein Problem?”

 Kristen hebt eine Augenbraue. “Ein Problem? Ihr Vaterland ist in Gefahr. Finden Sie das etwa kein Problem?”

Ich spüre, wie sich meine Hände zu Fäusten ballen.

 “Was ist der Grund Ihres Besuchs?”

Einer der Soldaten reicht Kristen einen Zettel, den dieser mir übergibt.

“Sie werden auf Befehl des Führers eingezogen.”

Mein Atem stockt. Die Wände scheinen näher zu rücken.

“Es muss ein Fehler vorliegen. Ich habe bereits im Ersten Weltkrieg gedient."

Kristen grinst schräg. “Umso besser. Erfahrene Männer können wir gut gebrauchen. Seien Sie morgen früh bereit. Widerstand wäre unklug,  für Sie und Ihre Frau.”

 Sein Blick gleitet abschätzig über Martha, die nun hinter mir steht.

Nachdem die Soldaten gegangen sind, sitze ich mit Martha vor dem Kamin. Ihr Kopf ruht auf meinem Schoß, während ich gedankenverloren durch ihr langes, braunes Haar streiche. Das Flackern der Flammen wirft hohe Schatten an die Wand, doch die Wärme des Feuers kann die Kälte in meinem Inneren nicht vertreiben. Martha hebt den Kopf und sieht mich mit besorgten Augen an.

 “Du wirst doch nicht wirklich wieder gehen müssen?"

 Ich zwinge mich zu einem schwachen Lächeln.

 “Mach dir keine Sorgen. Es wird schon alles gut.”

 Doch eigentlich weiß ich, dass ich es kein zweites Mal überleben werde.

Martha schweigt für kurze Zeit und sagt schliesslich: "Ich habs Paul, wir rennen gemeinsam davon, weg von diesem traurigem Land!"

Ihre Naïvität bringt mich zum schmunzeln.

"Das wäre schön aber ich befürchte ich muss meiner Pflicht nachkommen."

Das Leuchten in Marthas Augen verschwindet so schnell, wie es gekommen ist.

Die Nacht verbringe ich schlaflos, gequält von Albträumen und Erinnerungen. Als der Morgen graut, sitzen Martha und ich gemeinsam auf dem Sofa und lesen die Zeitung. Ein trügerischer Moment der Normalität, bevor das Unvermeidliche eintritt.

Es klingelt erneut an der Tür. Ein eisiger Griff umklammert mein Herz. Martha und ich tauschen einen letzten, verzweifelten Blick, bevor ich aufstehe und die Tür öffne. Ein Soldat steht vor mir, eine Uniform in den Händen.

 “Paul Marten, Sie werden heute auf Befehl des Führers an die Ostfront eingezogen.”

Meine Beine werden weich. Der Flur beginnt zu schwanken. Ich höre das entfernte Echo von Explosionen, spüre den kalten Matsch unter meinen Händen, sehe die verzerrten Gesichter gefallener Kameraden. Ein schriller Ton erfüllt meine Ohren, alles andere wird dumpf. Der Soldat macht einen Schritt auf mich zu. Ich sehe ihn an, doch vor meinem inneren Auge sehe ich mich selbst – blutverschmiert, panisch, verloren.

Marthas Schluchzen dringt wie durch Watte zu mir durch. Hände packen mich grob, ziehen mich aus dem Haus. Das Letzte, was ich sehe, ist Marthas verweintes Gesicht, bevor die Tür hinter mir ins Schloss fällt.